OLG Wien am 4. März 2002, Geschäftszahl 18 Bs 20/02, Stichworte: Haftung für Inhalte im Diskussionsforum, § 6 Abs 1 MedG, Journalistische Sorgfalt, Vorarlberg Online, Netiquette kein taugliches Mittel
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Erstgericht die Antragsgegnerin als Medieninhaberin des Online-Dienstes "Vorarlberg Online" wegen der Veröffentlichung von User-Kommentaren vom 24. und 25. Jänner 2001 in der Rubrik "Treffpunkt - Reden Sie mit!", in denen Dr. Karl-Heinz Plankel als Affe, Sch ... anwalt und Nazi Arschloch bezeichnet wurde, zur Zahlung einer Entschädigung nach § 6 Abs 1 MedienG in der Höhe von S 30.000,- an den Antragsteller verurteilt und gemäß § 389 StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG auf die Kostenersatzpflicht der Antragsgegnerin erkannt.
Der Antragsteller sei Rechtsanwalt in Dornbirn, Vorarlberg, in der Nähe seines Einfamilienhauses sei ein Tierschutzheim gebaut worden, aus rechtlichen Gründen habe seine Kanzlei gegen den Baubewilligungsbescheid Berufung erhoben. Über diesen Rechtsstreit sei im Jänner 2001 in Vorarlberg medial breit berichtet worden und ua in den Vorarlberger Nachrichten vom 23. Jänner 2001 ein Artikel unter dem Titel "Dunkle Wolken über dem neuen Tierheim" erschienen, in dem der Antragsteller als ein bekannter Anwalt, dessen Haus sich in rund einem halben Kilometer Entfernung vom Tierheim befinde, bezeichnet werde. Dieser Artikel sei von dem Online-Dienst "Vorarlberg Online", dessen Medieninhaberin die Antragsgegnerin sei, am selben Tag übernommen worden.
Die grafisch gestaltete Startseite von "Vorarlberg Online" biete dem User verschiedene Informationen, insbesondere auch zum Bundesland Vorarlberg und biete über Links die Möglichkeit zum detaillierten Eingehen auf speziell gesuchte Themenkreise. Über eine Anfragezeile am oberen Bildrand gelange man zu den Rubriken "Sport", "Treffpunkt", "Finder" und "Shop". Unter der Rubrik "Treffpunkt" finden sich die Diskussionsforen, die in regionale und nationale unterteilt und diese wiederum in Untergruppen "Themen" untergliedert seien. Sind die Foren teils moderiert, teils unmoderiert, so können bei den Letztgenannten die User ihre Diskussionsbeiträge direkt und online im Diskussionsforum platzieren, wo sie ohne vorherige Prüfung, Begutachtung oder Zensur von jedermann abrufbar seien. Allerdings finde sich am Beginn dieser Rubrik ein Hinweis auf die "Netiquette", in welcher die Redaktion bitte, eine sachliche, faire und freundliche Diskussionsatmosphäre zu wahren und sich vorbehalte, krass unsachliche, moralisch bedenkliche oder rechtswidrige Beiträge zu löschen. Gleichfalls dort befinde sich ein Link zu einem Text des Redaktionsleiters, in dem an die Nutzer appelliert wird, von Beiträgen beleidigenden, radikalen, rassistischen oder sexistischen Inhalts Abstand zu nehmen.
Auf der Startseite von "Vorarlberg Online" gebe es aber auch in der linken Spalte eine spezielle Rubrik "Treffpunkt - Reden Sie mit:", die ein Diskussionsforum zu einem aktuellen Thema - gegenständlich das Tierheim Dornbirn - bewerbe, von wo man über ein Link direkt zu diesem Diskussionsforum gelange. In dieses Forum sei am 24. Jänner 2001 um 21.55 Uhr der Beitrag eines "Hunde Freund" eingegeben worden, der ausführe: "... Ein Anwalt hat was gegen Tiere?? Für mich ist so einer eine andere Version von einem Naziarschloch"! Am 25. Jänner 2001 finde sich um 18.53 Uhr unter dem Titel "Sch ... anwalt" folgender Kommentar eines anonymen Users: "Frechheit so eine Einrichtung verhindern zu wollen. Aber im alten Tierheim wäre doch sicher noch Platz für einen Affen ..."
Dadurch werde für den Leser dieser Kommentare der Antragsteller massiv beschimpft, die Beiträge seien mindestens eine Woche lang über die Homepage von "Vorarlberg Online" abrufbar gewesen.
Die Antragsgegnerin beschäftige sechs Online-Redakteure, die eine spezielle Ausbildung im Bereich Internet haben. Diese übernehmen teilweise Beiträge und Artikel aus dem Printmedium und veröffentlichen sie auf "VOL", dies auch in der Absicht, darüber Diskussionen zu eröffnen. Die Redakteure werden von der Firmenleitung angehalten, sich in den Foren zu bewegen und zu sichten, ob sie dort rechtswidrige Äußerungen entdecken. Eine bestimmte Frequenz oder Intensität der Nachschau werde ihnen dabei nicht vorgegeben, in der Regel sollte dies nach Vorstellung der Geschäftsführung im Tagesrhythmus geschehen, da dies dem sonstigen Arbeitsrhythmus entspreche. Bedenkliche Beiträge sollen auch gelöscht werden, was im konkreten Fall zumindest eine Woche nicht geschah.
Der Antragsteller sei von mehreren Bekannten, aber auch Klienten auf die Äußerungen im Online-Forum angesprochen worden, nicht zuletzt auf Grund dieser sehr emotional geführten Debatte habe er es auch unterlassen, die von ihm beabsichtigte VfGH-Beschwerde einzubringen.
Die inkriminierten Bezeichnungen erfüllen das Tatbild der Beschimpfung nach § 115 Abs 1 StGB, das Internet (richtig: die Internetdienste), soweit es nicht als Mittel privater Kommunikation diene (E-Mail), sei Medium iSd § 1 Abs 1 Z 1 MedienG, dies gelte ebenso für eine Web-Site bzw Homepage und für das auf ihr eingerichtete Diskussionsforum.
Charakteristikum von unmoderierten Online-Diskussionsforen sei die Möglichkeit der Teilnehmer, online und somit in Echtzeit Diskussionsbeiträge im Kommunikationsraum zu platzieren, die sogleich von jedermann abgerufen und somit wahrgenommen werden können. Habe sich diese Form der Kommunikation in den letzten Jahren weitgehend etabliert und stelle sie unter den Bedingungen moderner Mediengesellschaft einen wesentlichen Marktplatz für die Verbreitung von Meinungen und Ideen sowie für den öffentlichen Diskurs dar ("elektronische Agora"), so liege im Hinblick auf die technische Ausgangssituation (prinzipiell vorab nicht reglementierte Echtzeitkommunikation) und die gesetzliche Zielsetzung des (von der Antragsgegnerin eingewendeten) § 6 Abs 2 Z 3 MedienG (Haftungsausschluss mangels Ingerenzmöglichkeit mit Rücksicht auf das öffentliche Interesse) eine wertungsmäßig äquivalente Konstellation vor, die eine analoge Anwendung dieses Ausschlussgrundes auch auf unmoderierte Online-Diskussionsforen rechtfertige. Weitere Voraussetzung dieses Ausschlussgrundes sei aber, weder ein Mitarbeiter noch ein Beauftragter des Rundfunks (Medieninhabers) dürfen die gebotene journalistische Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Von der Judikatur seien hiezu folgende Leitlinien entwickelt worden: Der Medienmitarbeiter dürfe ehrenrührige Äußerungen nicht provozieren oder inszenieren, er müsse - wenn dies wegen des Themas indiziert sei - bei bestimmten Sendungen bereits entsprechend gewappnet sein und müsse geschehenen Äußerungen entgegenwirken. Technisch gesehen stehen dem Medieninhaber (eines Online-Dienstes) zwei Varianten des Einschreitens offen, entweder durch Zwischenschaltung eines Servers, um eingehende Beiträge entweder manuell oder durch eine Suchsoftware zu prüfen - dies stehe aber der Intention der Foren, nämlich freier, ungebundener Kommunikation - entgegen, oder der Medieninhaber bzw seine Mitarbeiter müssen dafür Sorge tragen, dass ehrenrührige Äußerungen, die im Medium veröffentlicht worden seien, ehestmöglich entfernt werden. Eine allgemein gültige Frist zur Löschung eines Beitrages könne nicht angegeben werden, vielmehr komme es hiebei auf die Umstände des Einzelfalles an, wobei die zugestandene Reaktionszeit auch zur Schnelligkeit des Mediums in ein Verhältnis gesetzt werden müsse.
Aktuell habe es sich um ein auf der Startseite von "VOL" beworbenes Diskussionsforum mit einem besonders "angeheizten" und emotionellen Thema gehandelt, dem schon aus diesen Gründen besondere Aufmerksamkeit gewidmet hätte werden müssen. Die inkriminierten Beiträge seien relativ einfach zu sichten gewesen, sie seien kurz gewesen, eine Beschimpfung bereits im Betreff aufgetaucht und weder subtil noch verschlüsselt sondern klar und eindeutig. Aufspüren und Eliminierung durch manuelle Sichtung bzw durch einfache Filtersoftware wäre leicht möglich gewesen. Handle es sich bei der Antragsgegnerin um ein kommerzielles Unternehmen, das, zumal man nur über die Startseite oder Homepage des Unternehmens zum Diskussionsforum gelange, den kommerziellen Nutzen daraus ziehe, so stehe dem auch nicht der Einwand der Vielzahl eingelangter Beiträge entgegen, da der bei der Sichtung betriebene Aufwand, die Anzahl der Mitarbeiter, deren Instruierung sowie der Einsatz technischer Hilfsmittel auf die Anzahl der eingelangten oder erwarteten Beiträge abzustimmen und erforderlichenfalls die Anzahl der Diskussionsforen zu begrenzen gewesen wäre.
Habe die Antragsgegnerin ihre Mitarbeiter zwar angewiesen, nach ehrenrührigen oder verbotenen Äußerungen Ausschau zu halten, aber keine konkreten Weisungen über Häufigkeit, Intensität oder Frequenz der Suche gegeben, wodurch die inkriminierten Äußerungen zumindest eine Woche im Netz abrufbar gewesen seien, so könne von umgehender Sperre oder Löschung der inkriminierten Beiträge, mit der allein der journalistischen Sorgfalt entsprochen worden wäre, nicht die Rede sein.
Im Hinblick auf die regionale Verbreitung des Mediums und die durch die Emotionalität des Themas hervorgerufenen Reaktionen erachtete das Erstgericht einen Entschädigungsbetrag in der Höhe von S 30.000,- für angemessen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe (ON 23), der Berechtigung nicht zukommt.
Moniert die Antragsgegnerin unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs l Z 9 lit a StPO mangelnde konkrete und individuelle Betroffenheit des Antragstellers, so ist ihr Folgendes zu erwidern:
Wurde der Antragsteller zufolge unbekämpfter erstgerichtlicher Feststellungen von mehreren Bekannten, aber auch Klienten auf die Äußerungen im Online-Forum angesprochen, wodurch er auf Grund dieser sehr emotional geführten Debatte auch die von ihm beabsichtigte VfGH-Beschwerde unterließ, so wird durch die Behauptung, individuelle Betroffenheit des Antragstellers liege mangels Identifizierung im Artikel nicht vor, dieser Nichtigkeitsgrund zufolge Entfernens vom festgestellten Sachverhalt nicht zur prozessordnungsgemäßen Darstellung gebracht.
Erkennbarkeit des Betroffenen für einen größeren Personenkreis ist nicht erforderlich, vielmehr genügt, wenn ein kleiner, abgegrenzter Personenkreis erkennen kann, auf wen der Angriff zielt. Dabei schadet nicht, wenn sich dieser Personenkreis nur aus Bekannten (Kunden) des Betroffenen zusammensetzt, weil nur diesen jene besonderen Umstände bekannt sind, die einen Bezug zum Betroffenen zulassen. Es sind im Übrigen sämtliche Individualisierungsmerkmale zu beachten (Brandstetter - Schmid, MedienG, 2. Auflage, RN 30 zu § 6).
Ausgehend von der Individualisierung des Antragstellers als bekannter Anwalt, dessen Haus sich in rund einem halben Kilometer Entfernung vom neuen Tierheim befinde, dessen Einspruch abgelehnt worden sei und der eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof überlege (Beil./A zu ON 1), ergibt sich aber dessen Erkennbarkeit in dieser Region, die sodann in der Identifizierung des Antragstellers durch Mandanten und Bekannte ihren Niederschlag gefunden hat.
Ist grundsätzlich von der Anwendbarkeit der Bestimmungen des MedienG auf Online-Magazine im Internet auszugehen (vgl hiezu Wiedenbauer, Online-Magazine und medienrechtliche Ordnungsvorschriften, MR 2001, 73; OLG Wien vom 10. Juli 2001, AZ 21 Ns 118/01, ON 12; OLG Wien vom 10. September 2001, AZ 24 Bs 242/01, nv), so hat der Betroffene gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung für die erlittene Kränkung, soferne nicht (ua) der Ausschlussgrund des § 6 Abs 2 Z 3 MedienG gegeben ist. Die gebotene journalistische Sorgfalt gebietet es aber, in Kenntnis des emotionell stark besetzten Themas Maßnahmen für den Fall zu treffen, dass ehrenrührige Äußerungen ehestmöglich, dh unter zumutbarem Einsatz von Personal und Hilfsmitteln entfernt werden. Ist aber der Geschäftsführer der Antragsgegnerin durch Zufall, seine Familie suchte einen Hund (ein bis zwei Tage nach Beginn der Diskussion), auf die inkriminierten Äußerungen gestoßen und waren diese sodann bis 29. Jänner 2001 abrufbar, ohne dass diese sogleich durch den Geschäftsführer selbst bzw durch Mitarbeiter, die nach ehrenrührigen oder verbotenen Äußerungen Ausschau halten sollten, eliminiert wurden, so wurde jedenfalls der journalistischen Sorgfalt, die sofortige Ausschaltung der inkriminierten Textstellen nach Ansichtigwerden erfordert hätte, nicht Genüge getan.
Verweist die Antragsgegnerin auf einen Verstoß gegen europarechtliche Normen, insbesondere die E-Commerce Richtlinie 2000/31/EG vom 8. Juni 2000 und darauf, sei auch das östereichische E-Commerce Gesetz noch nicht in Kraft getreten, so hätte doch die Richtlinie in die Überlegungen des Gerichtes unbedingt Einfluss finden müssen, so ist sie darauf zu verweisen, dass, ohne auf diese Normen näher einzugehen, auch diese unverzügliches Tätigwerden statuieren, sobald der Diensteanbieter in Kenntnis rechtswidriger Tätigkeit oder Information ist.
Bringt die Berufungswerberin unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit b StPO vor, es sei unbeachtlich, ob und wann das gegenständlich inkriminierte Forum inaktiv gestellt worden sei, zumal die tägliche Beobachtung der Foren angeordnet und auch ausgeführt wurde, sodass die journalistische Sorgfaltspflicht ausreichend eingehalten wurde, ist folgendes zu entgegnen:
Weder wurde die tägliche Beobachtung der Foren angeordnet noch diese durchgeführt, da lediglich dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin die inkriminierten Textstellen ein bis zwei Tage nachher auffielen und sie jedenfalls nicht unverzüglich entfernt wurden sondern jedenfalls noch am 29. Jänner 2001 eingesehen werden konnten.
Überfordern aber die einlangenden Beiträge die vorhandenen Mittel, Rechtsgutverletzungen entgegenzuwirken, so dürfen derartige Foren nicht oder nur in eingeschränktem Maße angeboten werden.
Das Ersuchen der Redaktion um Wahrung sachlicher, fairer und freundlicher Diskussionsatmosphäre, wobei sie sich vorbehalte, rechtswidrige Beiträge zu löschen, ist, wie sich fallbezogen ergibt, kein taugliches Mittel, Rechtsgutverletzungen entsprechend entgegenzuwirken.
Es greift aber auch die Berufung wegen Schuld zu kurz.
Beruht die erstgerichtliche Feststellung, die inkriminierten Äußerungen seien mindestens eine Woche lang über die Homepage "Vorarlberg Online" abrufbar gewesen, auf der unbedenklichen Aussage des Antragstellers, gegen die die Antragsgegnerin lediglich pauschal ins Treffen führt, der Zeuge Mag. Thurm, Geschäftsführer der Antragsgegnerin, habe entgegen dem Antragsteller mangels Parteistellung im Verfahren weit weniger Interesse an einer den wahren Begebenheiten widersprechenden Aussage, so ergibt sich auch aus dem Ausdruck vom 29. 1. eine Abrufbarkeit von jedenfalls annähernd einer Woche, ohne dass die ehrenrührigen Äußerungen aus dem Forum ausgeschaltet wurden.