OGH, am 23. Juni 2004, Geschäftszahl 9ObA75/04a, Stichworte: das generell verbotenen Weitersenden von auf dem Arbeitsplatz gelegentlich einlangenden Spaß-E-Mails ein- bis zweimal pro Woche an Arbeitskollegen stellt keinen Entlassungsgrund dar; §27 Z1 AngG
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie durch die fachkundigen Laienrichter Univ. Prof. Dipl. Ing. Hans Lechner und Franz Gansch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ingrid O*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Werner Steinwender und andere, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei R***** reg GenmbH, ***** vertreten durch Dr. Robert Galler, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen EUR 24.456,90 brutto sA infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. März 2004, GZ 12 Ra 10/04h-21, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtssatz
1. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht bereits deshalb vor, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage des privaten E-Mail-Verkehrs während der Dienstzeit nicht vorliegt. Der vom Berufungsgericht beurteilte Sachverhalt liegt im Hinblick auf die Beeinträchtigung der Interessen des Dienstgebers nicht anders als gelegentliche (kurze) Telefonate privaten Inhalts mit Arbeitskollegen. Hingegen kann er mit dem vom Revisionswerber angesprochenen "Surfen im Internet" bzw privater PC- bzw Internetnutzung am Arbeitsplatz nicht gleichgesetzt werden.
2. Der Revisionswerber gesteht zu, dass eine Entlassung (hier wegen behaupteter Vertrauensunwürdigkeit gemäß § 27 Z 1 AngG) voraussetzt, dass die Interessen des Dienstgebers durch das Verhalten des Dienstnehmers so schwer verletzt wurden, dass Ersterem eine weitere Zusammenarbeit - auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist - nicht mehr zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0029095 ua; idS zum vorliegenden Problem auch K. Posch, Die e-mail-Nutzung aus arbeitsrechtlicher Sicht, in IT-LAW.AT, e-mail-elektronische Post im Recht [2003], 86), wobei ein objektiver Maßstab, nämlich die gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise, anzulegen ist (RIS-Justiz RS0029323, RS0029733). Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit begründet, kommt es stets auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an (vgl nur 9 ObA 230/02t), sodass sich erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO regelmäßig nur dann stellen, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die vom Obersten Gerichtshof im Sinne der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste. Eine derartige Fehlbeurteilung vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen.
3. Das Fehlverhalten der Klägerin lag darin, entgegen einem generellen Verbot und einer Ermahnung durch einen Vorgesetzten gelegentlich auf ihrem Arbeitsplatz einlangende "Spaß-E-Mails" an Arbeitskollegen weitergeleitet zu haben; nach den Feststellungen der Vorinstanzen kam eine Weiterleitung derartiger E-Mails an Kollegen bzw an den privaten Internetzugang der Klägerin ein- bis zweimal pro Woche vor. Soweit das Berufungsgericht unter diesen Umständen unter Berücksichtigung der sonst unbeanstandeten 20-jährigen Arbeitsleistung der Klägerin die Auffassung vertreten hat, das Verhalten der Klägerin stelle - ungeachtet einer vorangegangenen (informellen) Ermahnung - keinen Entlassungsgrund dar, so kann dies nicht als bedenkliche Fehlbeurteilung angesehen werden.